„Digital Exchange Lab“ Digitalkonferenz

Die Covid-19-Pandemie hat die Organisationen des internationalen Jugendaustauschs vor große Herausforderungen gestellt. Insbesondere stellt sich die Frage: Wie können sich Jugendliche aus unterschiedlichen Ländern begegnen, wenn sie sich nicht besuchen dürfen? Einfach den Betrieb zu pausieren, war keine Option: Immerhin waren mehrere Jahrgänge von Schüler*innen und Jugendlichen betroffen; manche steckten sogar gerade mitten im laufenden Austausch und erwarteten den Gegenbesuch. Auf der Digitalkonferenz “Digital Exchange Lab” der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke wurde mit Hilfe von nutzerzentrierten Innovationsmethoden aus dem Design Thinking sowohl Jugendliche, als auch Pädagog*innen und Expert*innen der Digitalisierung zusammengebracht, um Lösungen zu entwickeln.

Mit dem Design-Thinking-Ansatz werden Teams in die Lage versetzt, schnell komplexe Probleme zu lösen, und zwar in einer Form in der die zukünftige Zielgruppe im Mittelpunkt steht. Die Deutsch-Türkische Jugendbrücke hat sich entschieden, auf der Digitalkonferenz Methoden aus dem Design Thinking einzusetzen, weil die Herausforderung, Jugendaustausch in Zeiten von Corona möglich zu machen, geradezu widersprüchlich ist – lebt doch Jugendaustausch eigentlich vom unmittelbaren Besuch eines anderen Landes oder einer anderen Kultur. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen haben Vertreter*innen der unterschiedlichen Betroffenengruppen – Pädagog*innen, Digital-Expert*innen und natürlich Jugendliche sowohl aus Deutschland als auch der Türkei – miteinander die Herausforderung in seine Bestandteile zerlegt, Kernfunktionen des Jugendaustausch identifiziert und Ideen entwickelt, wie adäquate Alternative im Digitalen Raum aussehen könnten. Hier stellen wir die zwölf Kern-Herausforderungen von Jugendaustausch im Digitalen vor sowie erste Lösungsansätze, die während der Digitalkonferenz entstanden sind.

Die Workshop-Ergebnisse im Überblick

1. Soziale Beziehungen lassen sich online schwer knüpfen

Jugendaustausch, das bedeutet: Empathie für andere Jugendliche aus anderen Kulturkreisen herstellen, sich kennenlernen, Freundschaften knüpfen. All das hat mit sozialen Beziehungen zu tun, und die lassen sich online nicht so einfach herstellen.

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Denn wenn man die andere Person immer nur in einem kleinen Videokonferenz-Rechteck erkennen kann, kommt das Soziale oft zu kurz. Doch auch online kann sozialer Austausch funktionieren – er muss allerdings richtig moderiert werden. Online gilt wie offline: Gemeinsame Erlebnisse schweißen zusammen! Dafür gibt es passende Methoden, aber auch Plattformen jenseits der jeder klassischen Videokonferenz-Tools – in denen beispielsweise jeder Teilnehmende einen Avatar durch einen zweidimensionalen Raum steuert und sich auf diese Weise ganz von selbst organisch Gesprächs- und Austauschgruppen bilden können.

2. Miteinander Spaß haben ist herausfordernd

Natürlich sind im Jugendaustausch die schönsten gemeinsamen Erfahrungen solche, die allen beteiligten Personen Spaß machen. Aber lässt sich Spaß im Digitalen wirklich herstellen?

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In der Digital-Konferenz haben die Teilnehmenden schnell festgestellt: Das ist durchaus möglich. Gerade junge Menschen wissen schon lange, wie man im Digitalen mit fremden Menschen Spaß hat, und spielen dafür MMOGs (Massive Multiplayer Online Games). Für einen digitalen Jugendaustausch braucht es nicht zwangsläufig einen Ego-Shooter oder ein Echtzeit-Strategie-Spiel, aber auch hier sind Gamification-Elemente sehr willkommen. Teilnehmende wollen spielerisch gegeneinander antreten, miteinander gegen die Zeit oder den Computer spielen, gemeinsam etwas aufbauen und in einen Zustand der Begeisterung geraten – aus Computerspielen kann man sich abschauen, wie so etwas gut funktionieren kann.

3. Nonverbaler Austausch lässt sich online schwer realisieren

Was in digitalen Austausch-Formaten schwierig funktioniert: Die nonverbale Kommunikation. Aber gerade wenn man unterschiedliche Sprachen spricht, ist die Verständigung über Gestik und Mimik ein wichtiges Mittel für den ersten Kontakt.

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Im Digitalen funktioniert der nonverbale Austausch etwas anders und ist keineswegs so einfach wie offline. Mit den richtigen Mitteln lässt er sich aber durchaus herstellen. Viele Videokonferenz-Tools bieten mittlerweile die Möglichkeit, über Emojis leicht Feedback zu senden. Außerdem können Post-It’s mit aufgemalten Reaktionen in die Kamera gehalten werden, man kann sich über Handzeichen verständigen, über animierte GIFs die eigene Stimmung ausdrücken und Vieles mehr. Kreativität ist gefragt – und wie so oft liegt es an den Trainer*innen, Möglichkeiten zu schaffen.

4. Vor-Ort-Eindrücke sind nicht möglich

Ein Kernelement des Jugendaustausches ist sicherlich, sich gegenseitig zu besuchen, andere Länder und Regionen kennenzulernen und von anderen Jugendlichen durch eine neue Umgebung geführt zu werden. Wie kann das online abgebildet werden?

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Programme wie Google Street View haben sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt. Hier können Teilnehmende sich gegenseitig Lieblingsplätze zeigen. Aber es gibt noch so viel mehr Möglichkeiten: Was ist mit einer Foto-Challenge – jede Person macht zehn Bilder mit ihren Lieblingsplätzen, und hinterher unterhält man sich darüber? Dem Austausch von Lieblingsrezepten, das jeweilige Nachkochen und dann gemeinsames Verkosten im Video-Call? Oder, wenn die Hardware es hergibt: In der virtuellen Realität kann man tief und dreidimensional in fremde Welten eintauchen – sicherlich auch in andere Länder, die man aktuell nur digital besuchen kann.

5. Präsenz vor Videokamera ist schwierig

Methoden für Online-Jugendaustausch hin oder her: Am Wichtigsten ist, sich vor der Kamera zu präsentieren. Wie man sich vor der Videokamera zeigt, ist entscheidend dafür, wie einen die anderen Teilnehmenden wahrnehmen. Was sind hier die Do’s und Don’ts?

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Teilnehmende mit gutem Equipment sind klar im Vorteil. Aber auch die Präsenz des eigenen Gesichts, Kopf und Oberkörper mitsamt Gestik und Mimik sind wichtig. Wer Probleme hat, sich offen vor einer Kamera zu zeigen – zum Beispiel wegen dem Eindringen in den eigenen Privatbereich der Wohnung – der tut gut daran, sich für die Zeit der Videokonferenz einen separaten, geschützten Bereich zu suchen. Das kann ein eigenes Zimmer sein oder auch ein mit Laken abgetrennter Bereich. So schafft man einen “Green Screen”, der in vielen Programmen durch einen virtuellen Hintergrund ersetzt werden kann. Am Wichtigsten aber ist der “Blick in die Kamera”: Hin und wieder die anderen Teilnehmenden direkt anschauen, indem man direkt in die Kamera sieht, und darauf achten, dass beim Sprechen auch die Gestik der Hände sichtbar bleibt.

6. Zielgruppe kann sich unter Online-Austausch nichts vorstellen

Virtuelle Google-Maps-Touren, mitreißende Online-Spiele, per Post zugesandte Cultural Bags: Viele Teilnehmende wissen gar nicht, wie cool Online-Jugendaustausch sein kann. Wie kommuniziert man das Format, wo doch die meisten Jugendlichen denken, Austausch geht nur, indem man in ein fernes Land fliegt?

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Klar ist: Der Online-Jugendaustausch konkurriert nicht mit dem Ferienlager oder dem All-Inclusive-Partyurlaub. Pandemiebedingt kann dies derzeit alles nicht stattfinden. Stattdessen konkurriert Online-Jugendaustausch mit Online-Videodatenbanken, Computerspielen und dem Treffen von Freunden in der Nachbarschaft. Hier sollten in der Kommunikation klar die Vorzüge herausgestellt werden: Was haben Teilnehmende vom Online-Jugendaustausch? Und wie kann ein lebendiges und hochwertiges Online-Austauschformat aussehen? Nur wer davon eine Vorstellung hat, wird an einem solchen Programm auch teilnehmen.

7. Best-Practice-Beispiele gehen unter

Es gibt nicht nur Probleme: Zahlreiche erfolgreich durchgeführte Online-Austauschformate zeugen davon, was alles funktionieren kann.

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Doch vor lauter bestehender Herausforderungen gehen solche Best-Practice-Beispiele oft unter. Es gibt nicht wirklich viele Datenbanken erfolgreicher Online-Jugendaustauschformate – am besten sortierbar nach Schlagworten, Methodeneinsatz und Zielgruppe. Daher sammelt die Jugendbrücke gemeinsam mit weiteren Partnern auf dem Portal austausch-macht-schule.de Geschichten von digitalem Jugendaustausch, sowie Leitfäden und methodische Handreichungen. Was es jetzt noch braucht, sind Erlebnisberichte von begeisterten Teilnehmenden, langfristige Freundschaften die sich über Online-Jugendaustausch ergeben haben – oder vielleicht sogar die Entscheidung, für einen gewissen Zeitraum wirklich in das andere Land zu ziehen, weil man online bereits einen guten Eindruck davon gewonnen hat.

8. Organisationen des Jugendaustauschs sind selbst nicht digitalisiert

Wie soll man digitalen Jugendaustausch organisieren, wenn man selbst nicht digitalisiert ist? Auch fehlt häufig das Know-How zu Konzeption und Moderation von Online-Events. Schließlich sind die Mitarbeitenden häufig ausgebildete Pädagog*innen und keine IT-Dienstleister*innen.

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Im Unternehmensbereich gab es zu Beginn der Pandemie viele Fortbildungen, um die Mitarbeitenden in digitalen Tools und agilen Methoden zu schulen. Glücklicherweise haben viele Dienstleister speziell für NGOs rabattierte Tarife angeboten. Zahlreiche Methodensammlungen zur Durchführung von Online-Veranstaltungen gibt es sogar kostenlos im Netz – wie diese Übersicht von D3 oder dieser hier der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Und auf Facebook tauscht sich seit Sommer 2020 eine Gruppe von mehr als 500 Online-Moderator*innen aus und weist ständig auf neue Tools und Techniken hin.

9. Technik-Equipment ist nicht immer vorhanden

Vereine und Verbände verfügen oft nicht über die nötigen finanziellen Mittel für teure Hardware und für Software-Lizenzen. Wie aber kann man digitalen Jugendaustausch ohne stabile Infrastruktur ermöglichen?

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Von staatlicher Seite und von einigen Stiftungen gab es seit Beginn der Pandemie verschiedenste Förderprogramme zur Aufrüstung von Infrastruktur und Methodenwissen. Über das Portal “Stifter-helfen” erhalten gemeinnützige Organisationen günstig oder sogar kostenlos Software namhafter Anbieter. Open-Source-Tools sind zudem häufig kostenlos und oft sogar DSGVO-konform. Und was die Hardware angeht: Weil viele Unternehmen in den vergangen Jahren ihren Computerpool einmal runderneuert haben, gibt es zahlreiche Angebote mit relativ leistungsfähigen Prozessoren derzeit gebraucht auf dem Markt.

10. Nicht jede Software ist kostenlos oder DSGVO-konform

Videokonferenz, digitales Whiteboard, Online-Abstimmungstool – die meisten der beliebten Computerprogramme dürfen Austauschorganisationen gar nicht nutzen.

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Das liegt häufig an der DSGVO, also den Europäischen Datenschutzbestimmungen, aber manchmal auch einfach daran, dass junge Menschen nicht überall auf der Welt schnelles Internet, die neuesten Computer oder Geld für teure Lizenzen haben. Seit Corona wurde hier allerdings viel erreicht. Mit Big Blue Button gibt es beispielsweise ein DSGVO-taugliches Open-Source-Programm für Videokonferenzen, Conceptboard erleichtert Teamwork und TaskCards ist eine datenschutzkonforme Online-Pinnwand.

11. Kaum Informationen für Trainer*innen, wie Austausch online funktionieren kann

Gruppendynamiken erkennen, Teilnehmende begeistern, Exkursionen anleiten – all das haben Trainer*innen von internationalen Jugendbegegnungen gelernt und das ist ihre Expertise. Aber wie soll das ins Digital übertragen werden?

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Um digitale Jugendbegegnungen anzuleiten, braucht es keine IT-Expert*innen. Es braucht auch hier die Fähigkeiten von Jugendtrainer*innen – nur dass diese online unter veränderten Rahmenbedingungen zum Einsatz kommen. Im Kern geht es aber ebenfalls darum, Begegnungsräume zu schaffen Vertrauen, aufzubauen und Menschen zu verbinden. Damit die Technik dem nicht im Wege steht, bereiten Organisationenwie die Deutsch-Türkische Jugendbrücke seit Beginn der Pandemie vermehrt Informationen zur Online-Moderation auf. Mit diesem Wissen können Trainer*innen sich wieder darauf fokussieren, was wichtig ist: Austausch zu ermöglichen.

12. JugendtrainerInnen haben keine Community

Es gibt eine deutsch-französische Community, deutsch-russische, deutsch-polnische und natürlich deutsch-türkische. Was es aber nicht gibt, ist die Community der deutsch-binationalen Jugendtrainer*innen. In Zeiten von Corona wäre so eine Community wichtig, um Wissen und Erfahrung zirkulieren zu lassen.

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Sicherlich sind Jugendtrainer*innen informell vernetzt. Es existieren wohl zahlreiche WhatsApp- oder Telegramm-Gruppen, in denen die jungen Trainer*innen ihre Erfahrungen austauschen und weitergeben. Eine offizielle Anlaufstelle oder Gruppe hingegen ist bisher nicht bekannt. Daher an dieser Stelle der Aufruf: Ihr habt eine solche Community und möchtet sie gerne für andere Jugend-Trainer*innen öffnen, um sie als offizielle Austausch-Gruppe zu etablieren? Schreibt uns und wir veröffentlichen den Zugang hier. Ihr erreicht uns unter info@jugendbruecke.de (Betreff: “Community”).