SPIELERISCH ZUSAMMENKOMMEN – „GLOBAL PLAYGROUNDS“ IN DER GEFLÜCHTETENHILFE

Die Arbeit mit Geflüchteten kann für psychologische Fachkräfte, in der Sozialarbeit tätige Personen und auch freiwillig Helfende in vielerlei Hinsicht herausfordernd sein. Mögliche traumatische Erfahrungen, unterschiedliche kulturelle Hintergründe und nicht zuletzt auch Sprachbarrieren führen zu komplexen Bedingungen – sowohl in Deutschland als auch in der Türkei. Um diese Hürden zu überwinden und den Zugang zur Arbeit mit Geflüchteten zu erleichtern, wurden in dem mehrjährigen, von der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke initiierten Projekt „Global Playgrounds – from Design to Practice“, zehn Spiele für unterschiedliche Altersgruppen entwickelt. Ende September kamen nun in der Nähe von Izmir noch einmal junge Fachkräfte aus der Türkei und Deutschland zusammen, um Workshop-Formate zu entwickeln, mit denen die Spiele von Organisationen in beiden Ländern angewendet werden können.

Es ist Donnerstag, bereits der vierte Tag des diesjährigen Workshops „Global Playgrounds“. In einem nur auf den ersten Blick alten Gemäuer sitzen – mit einem Kaffee in der Hand und noch etwas Schlaf in den Augen – die sieben Teilnehmenden aus Deutschland und ihre zwölf Pendants aus der Türkei in einem Stuhlkreis. An den Wänden, auf Flipcharts und überall dort, wo noch eine freie Stelle zu finden war, hängen Zettel mit den Ergebnissen der letzten drei Tage.

Abgeschieden liegt der Veranstaltungsort, in der Tiyatro Medresesi bei Şirince, circa eine Autostunde südlich von Izmir. Während vorne das Organisationsteam den Tagesablauf schildert, sitzen zwei Sprachmittler im hinteren Teil des Raumes. Jedes gesprochene Wort, jede Frage, jede Antwort, wird übersetzt. Auch später, wenn sich alle in ihre Arbeitsgruppen begeben. Nicht alle verstehen Englisch und so wird bereits jetzt deutlich, was bei den Spielen erst recht notwendig ist: eine gemeinsame Grundlage für die Kommunikation.

DAS SPIEL ALS RAUM FÜR EINE GEMEINSAME KOMMUNIKATION

Das Ziel des diesjährigen Workshops von „Global Playgrounds“ besteht darin, die zuvor entwickelten Spiele in einen fiktiven Workshop einzubinden und dieses Konzept Flucht- und Migrationsexpertinnen in Izmir vorzustellen. Dazu müssen die Spiele natürlich durch die Teilnehmenden (welche in den vorherigen Jahren nicht an der Entwicklung beteiligt waren) erst einmal eingehend gespielt und getestet werden.

Da ist beispielsweise „WELCHOME“, ein Brettspiel für zwei bis fünf Spielende ab sieben Jahren. Es eignet sich besonders gut für Gruppen, in denen Spielende aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen zusammenkommen. In der Spielfeldmitte finden sich drei ineinander liegende Kreise mit unterschiedlichen Ereignisfeldern, auf denen die Spielfiguren durch würfeln vorwärtskommen. Je nach Ereignisfeld gibt es eine Frage aus einem bestimmten Themengebiet. Mit einem zusätzlichen Aktivitätswürfel wird bestimmt, wie diese Frage zu beantworten ist. Eine Frage aus dem Themengebiet Sport könnte beispielsweise lauten: „Was ist die traditionellste Sportart in deinem Heimatland?“. Gibt die Aktivität derdem Spielenden Malen vor, dann muss diese*r die entsprechende Antwort aufmalen. Punkte gibt es sowohl durch richtiges Erraten, als auch für erfolgreiches Malen.

MIT „HORST“ UND ANDEREN SPIELEN EINEN AUSTAUSCH ERMÖGLICHEN

Ein anderes Spiel ist „Horst“, welches von Carlotta vorgestellt wird. Die Berlinerin hat in Beirut und Erfurt Nahostwissenschaften studiert. Heute arbeitet sie für einen deutsch-syrischen Verein in ihrer Heimatstadt, der sich in der Geflüchtetenhilfe engagiert. „Horst“, dessen Spieletitel auch durch beliebige andere Namen ausgetauscht werden kann, ist ein eher sportliches Spiel, welches zur Not auch völlig ohne gemeinsame Sprache auskommt. Es geht darum, als Gruppe eine festgelegte Distanz zur Spielleitung zu überwinden, dieser einen Ball abzuluchsen und die Beute dann auf die andere Spielfeldseite zu bringen, ohne, dass die Spielleitung errät, wer aus der Gruppe den Ball hat. Der Clou: Mit der Frage „Wo ist Horst?“ dreht sich die Spielleitung immer wieder zur Gruppe um und in diesem Moment darf sich niemand mehr bewegen.

Für ihre hauptamtliche Arbeit kann sie das Spiel im Moment nicht verwenden, verrät Carlotta. Doch nebenbei engagiert sie sich auch in anderen Berliner Projekten, bei denen eine Verwendung möglich ist. Die Teilnahme am diesjährigen Workshop von „Global Playgrounds“ ist für sie allerdings noch aus einem ganz anderen Grund erfolgreich und wichtig. Carlotta hat in dieser Woche die Möglichkeit, mit anderen Engagierten zusammenzukommen und sich auszutauschen. Die Teilnehmenden kommen nicht nur aus zwei verschiedenen Ländern, sondern haben auch unterschiedliche Berufe: Ehrenamtlich und hauptamtlich in der psychologischen und sozialen Betreuung tätige Personen, Lehrerinnen und Lehrer, Dolmetschende. Jede und jeder profitiert von den Erfahrungen des oder der anderen.

KOMPETENZEN AUS VERSCHIEDENEN ORGANISATIONEN ZUSAMMENBRINGEN

Das Potenzial des Austauschs erkennt auch Lucas Hellwig, der für die Koordination des Projekts zuständig ist. Er organisiert die Fahrt nach Izmir in zwei Kleinbussen und sorgt dafür, dass alle mit Lunchpaketen ausgestattet werden. Um die Einhaltung des geplanten Ablaufs und der Rahmenbedingungen ist er ebenfalls bemüht. Lucas arbeitet für Toy Gençlik Derneği, einen international tätigen Jugendverband aus Eskişehir, der sich 2017 gegründet hat. Während für die inhaltliche Betreuung – also zum Beispiel die Anleitung der einzelnen Arbeitsgruppen in dieser Woche – andere zuständig sind, laufen bei Lucas die organisatorischen Fäden zusammen.

Neben der Organisation ist er auch an den Inhalten und dem eigentlichen Geschehen interessiert und setzt sich immer wieder zu den Gruppen, die sich auf dem Gelände verstreut haben. Worauf sollte bei der Vorstellung des Workshop-Konzepts geachtet werden? In welcher Reihenfolge werden die Punkte erklärt? Wer spielt? Wie kommen die Teilnehmenden an das für sie so wichtige Feedback der Expert*innen in Izmir? Zusammen mit der DTJB und Planpolitik bringt auch Toy die eigenen Kompetenzen mit ein, um zum Gelingen von „Global Playgrounds“ beizutragen.

DER HÖHEPUNKT DER WOCHE – DIE PRÄSENTATION DER SPIELE

In Izmir angekommen, teilen sich die Arbeitsgruppen auf. Jede Gruppe trägt ihr Workshop-Konzept einer anderen Organisation in deren jeweiligen Räumlichkeiten vor. Bei einigen Teilnehmenden steigt die Nervosität sichtlich an. Ein Teilnehmer verrät, dass er nur ungern vor mehreren Menschen spricht. Die nun anstehende Präsentation vor einer der vier verschiedenen Organisationen, meistert er dennoch. Seine Gruppe habe ihn in seinem Selbstbewusstsein gestärkt, verkündet er später erleichtert.

Im Gegenteil, sie sind den Vortragenden gegenüber sehr offen und neugierig eingestellt, auch wenn sie mitunter auf dem Gebiet der Geflüchtetenarbeit mehr Erfahrung mitbringen. Eine dieser Organisationen, das Al Farah Center, kümmert sich beispielsweise speziell um die Belange von geflüchteten Familien, eine andere ist eine Vereinigung von Lehrerinnen und Lehrern, die in ihrer Freizeit ehrenamtlichen Sprachunterricht erteilen. Von diesen Expert*innen erhoffen sich die „Global Playgrounds“-Teilnehmenden ein konstruktives Feedback, welches ihrer Arbeit einen letzten Schliff geben soll. Die Spiele direkt mit Geflüchteten zu testen, stelle ein zu hohes Risiko dar, erklärt Lucas. Es sei möglich, dass sich Fragen oder Aufgaben in den Spielen auf Kriegserlebnisse und andere traumatische Ereignisse beziehen könnten. So könnte beispielsweise die Frage nach der Lieblingsmusik der Eltern bei Waisenkindern negative Emotionen auslösen. Für den späteren Einsatz der Spiele müssten solche Fragen vor der Verwendung aussortiert werden.

Die Präsentation der Workshop-Lonzepte und Spiele läuft gut und wieder kommen die beiden Sprachmittler zum Einsatz. Zunächst wird das Konzept erklärt, dann die Spielregeln. In der Gruppe, in der das Spiel „Alfonso“ vorgestellt wird, ist zunächst eine Spielregel unklar. Der Sprachmittler übersetzt den nun folgenden Dialog. „Wenn dein Team den Begriff in 30 Sekunden nicht erraten konnte, darf das andere Team 30 Sekunden lang raten“ – „Muss ich in der Zeit weiter zeichnen?“ – „Ja.“ – „Aber damit würde ich doch dem gegnerischen Team helfen.“ – „Das stimmt, aber so sind die Regeln.“ Gelächter bricht aus. Nach den anfänglichen Verständnisschwierigkeiten schaffen es sowohl die Spiele als auch die Teilnehmenden des Workshops für eine ausgelassene Stimmung zu sorgen.

PERSPEKTIVWECHSEL ALS STÄRKE

Insgesamt kommen alle Spiele gut an. Hier und da gibt es konstruktive Kritik: Bei einem Spiel solle auf gendergerechte Darstellungen der Grafiken geachtet und bei einem anderen die Spielanleitung vielleicht etwas stärker illustriert werden. Das Fazit der Expert*innen ist insgesamt positiv. Genauso auch jenes der Teilnehmenden von „Global Playgrounds“, die nach ihren Präsentationen noch etwas Freizeit in Izmir genießen, bevor der Abend in einem der berühmten Fischlokale in Izmir ausklingen wird.

Bei einem Spaziergang durch die Stadt und entlang der Strandpromenade erzählt Veysel aus Van von seiner Arbeit. Eigentlich hat er Maschinenbau studiert, ist jedoch aus Mangel an freien Stellen als Lehrer für Türkisch und Englisch in der Geflüchtetenhilfe seiner Heimatstadt untergekommen. Hier trifft er meist auf Menschen aus Iran, darunter viele LGBTQI+, deren Probleme und Geschichten auch ihm selbst zu schaffen machen. Die Erfahrungen aus dem Workshop der letzten Tage haben ihm jedoch geholfen, sagt er. Einerseits kann er die Spiele, die für Interessierte direkt auf der Webseite der DTJB abrufbar sind, mit nach Van nehmen. Andererseits hat er auch vom Austausch mit Menschen profitiert, die in einem ähnlichen Umfeld arbeiten. Die andere Perspektive auf seine eigene Arbeit, welche die Teilnehmenden aus Deutschland mit in den diesjährigen Workshop brachten, sei dabei eine besondere Stärke des Konzepts der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke.

Das Projekt ist Teil der Projektreihe „Building Future Bridges“ der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke.
Die Projektreihe wurde aus Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziert.

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