Reflexion über Rassismus – Wie kann diskriminierungskritische Bildung aussehen?

Machtstrukturen, Argumentationsmuster und Memes – bei dem Fachkräfteaustausch „Rassismus in Bildung“ von BoMoVu und Institut Dinx werden die unterschiedlichsten Themenfelder rund um Diskriminierung in der Bildungsarbeit beleuchtet. Neben wissenschaftlicher Einordnung gibt es Austausch und Anregungen für eine antirassistische Bildungsarbeit.

Nach und nach werden mehr Gesichter und Namen im digitalen Konferenzraum sichtbar: Von vielerorts aus Deutschland und der Türkei schalten sich über 60 Lehrkräfte, Sonderpädagog*innen, Menschen aus dem Bildungswesen und von Nichtregierungsorganisationen zu der Konferenz „Rassismus in Bildung“ zu, die von BoMoVu mit Sitz in Istanbul und dem Institut Dinx aus Bochum gemeinsam organisiert wird. Die Organisatorinnen Birte Gooßes und Nil Delahaye sind überwältigt von dem großen Zuspruch, den die Veranstaltung erfährt: „Wir freuen uns sehr, dass so viele Menschen gekommen sind. Das zeigt uns einmal mehr, wie wichtig dieses Thema ist und wie stark das Interesse ist, gemeinsam daran zu arbeiten“, sagt Birte Gooßes.

Gerade, dass der Austausch zwischen Deutschland und der Türkei auch in Zeiten von politischen Spannungen auf so großen Zuspruch trifft, sei ein wichtiges Zeichen.

Das dichte Programm der Konferenz macht direkt deutlich, wie vielfältig und komplex das Thema Rassismus in der Bildung ist: „Rassismus begegnet uns immer wieder in neuen Erscheinungsformen und ist schwierig zu definieren. Klar ist aber, dass er gravierende Folgen hat. Deswegen soll es heute darum gehen, welche Formen von Rassismus es gibt und darum, gemeinsam Lösungswege zu finden und Hierarchiestrukturen aufzuarbeiten“, führt Nil Delahaye vom Verein BoMoVu in die Veranstaltung ein.

Wie diese Hierarchiestrukturen mit Sprache verwoben sind, wird durch den Kurzvortrag von Selim Temo deutlich, der mit dichterischer Ausdruckskraft die Verschränkung von Rassismus und Poesie benennt. Seine Rede, in der er, auch mit Blick auf seine eigene Biografie, die Machtstrukturen innerhalb der türkischsprachigen Poesielandschaft nachzeichnet, ist ein eindrucksvolles Eingangsplädoyer dafür, die eigene Stimme zu bewahren.

Notwendige Reflexion und Analysefähigkeit

Saraya Gomis von Each One Teach One e.V. spannt mit ihrem Vortrag einen Bogen dazu, indem sie die Frage aufwirft: Wieso ist es eigentlich so schwierig, Rassismus zu thematisieren? Als Antworten führt sie nicht nur die Emotionalität des Themas und die Schwierigkeit der Definition von Rassismus an, sondern betont auch die historische Kontinuität von Diskriminierungen und deren Manifestation in Institutionen, wie etwa im Bildungswesen. Was es bedarf, um dagegen anzugehen, sei die ständige Selbstreflexion: „Ich mache permanent Fehler, ich gehe auch davon aus, dass ich diskriminiere, aber ich arbeite daran, dass es weniger wird, dass es besprechbar wird und dass ich Reparationen leisten kann“, erklärt Gomis. Nötig sei eine Analysefähigkeit, um Diskriminierung zu erkennen und es sei wichtig, dabei auch die Schüler*innen als Expert*innen mit ihren eigenen Geschichten und spezifischem Wissen wahrzunehmen, betont sie: „Diskriminierungskritik ist nichts, was nur wichtig ist, wenn es im Unterricht konkret um Diskriminierung geht. In jeder Faser unserer Arbeit muss sich das wiederfinden.“

Um die eigene Reflexionsfähigkeit und den Umgang mit Diskriminierungen zu schulen, geht es für die Teilnehmenden im Anschluss in verschiedene Workshops. Im Workshop „Machtstruktur und Machtkritik im Bildungskontext“ von Murat Akan (Glokal e.V.) lernen die Teilnehmenden, wie häufig hegemoniale Narrative und Bildsprache auch in Bildungsmaterialien reproduziert werden: Sei es eine Ausstellung zu türkischem Leben in Berlin, die zur Bebilderung Motive wie Kopftuch und Alditüte abdruckt oder das Unsichtbarmachen von Schwarzen Menschen in der Geschichtsschreibung um die us-amerikanische Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus: „Wir sehen hier, wie bestimmte Bevölkerungsgruppen als anders markiert werden, als nicht zugehörig“, sagt Murat Akan.

Auch Ferhat Kılıç stellt in seinem Workshop „Das Erbe des biologischen Rassismus in der Türkei“ heraus, welche Konstruktionen des „Anderen“ getätigt werden: Mit historischer Schärfe gibt er Einblicke in Studien, die anhand von körperlichen Eigenschaften eine vermeintliche Höherwertigkeit bestimmter Bevölkerungsgruppen legitimieren sollten. „Diese Studien sind nicht in der Geschichte eingefroren und stehengeblieben, sondern ein Teil hat sich verfestigt und ist in heutigen Curricula oder im alltäglichen Sprachgebrauch wiederzufinden“, sagt Ferhat Kılıç und betont damit die Relevanz für die heutige Bildungsarbeit: „Wir sind überzeugt, dass über diese Geschichte mehr gesprochen werden muss.“

Zivilgesellschaftliche Verantwortung zur Gegenrede

Wie man darüber sprechen kann oder wie sich diese Themen spielerisch in die Bildungsarbeit integrieren lassen, macht Nil Delahaye anschließend durch ein paar Beispiele deutlich. Zusätzlich gibt es für alle Teilnehmenden ein Handbuch zur Pädagogik gegen Rassismus, in dem unterschiedliche Übungen erläutert werden. Und auch in den darauffolgenden Workshops dreht sich alles darum, was man rassistischen Taten, Worten und Bildern entgegensetzen kann. Im Workshop „Ich bin nicht rassistisch, aber…“, geleitet von Kultursoziologe Murat Ergin, werden typische rassistische Argumente auseinandergenommen und die Teilnehmenden ergänzen auf einer interaktiven, digitalen Tafel fleißig Beispiele und Erfahrungen aus ihrem eigenen Lebensumfeld. Beispielsweise die Frage „Woher kommst du? Also woher kommst du wirklich?“ kommt den Teilnehmenden sowohl aus dem deutschen als auch dem türkischen Kontext bekannt vor. Ergin betont die zivilgesellschaftliche Verantwortung im Kampf gegen Rassismus: „Die Macht des Rassismus basiert auch auf der Stille der Menschen, die den Rassismus wahrgenommen haben und nichts gesagt haben“, sagt er.

Dass Rassismus sich häufig auch subtil äußern kann, zeigen Frederieke Huwald und Piotr Suder von ExPo Bochum in ihrer Analyse von Rassismus in Memes auf: „Unter dem Deckmantel von Humor können sich rassistische Vorstellungen verfestigen“, sagt Piotr Suder. Deswegen sei es wichtig, für Rassismus in Memes zu sensibilisieren. Im Austausch der Teilnehmenden wird schnell deutlich, dass viele schon selbst in Kontakt mit diskriminierenden Memes gekommen sind. Ob konservative Männlichkeitskonstruktionen oder das Feindbild von geflüchteten Menschen – die Narrative der diskriminierenden Memes scheinen sich in der Türkei und Deutschland nur wenig voneinander zu unterscheiden.

Kreative Wege zum Antirassismus und weitere Vernetzung

Aber auch hier können Verbündete dem laut etwas entgegensetzen: Zum Beispiel mit Counter-Memes. Beim spielerischen Erstellen von eigenen Memes kommen die Teilnehmenden noch einmal richtig in Fahrt. Die Ergebnisse, wie Antirassismus in Form von Memes ausgedrückt werden kann, sind bunt: Da ist Bernie Sanders, dem der Satz „I once again ask you whats the use of hatred“ in den Mund gelegt wird, da ist Drake, der Rassismus ablehnt und Toleranz wertschätzt, oder Batman, der die Aussage „I am not racist, but…“ mit einem „There is no but“ und einer Ohrfeige kommentiert.

Die positive Reaktion der Teilnehmenden und die Freude an der Aufgabe machen deutlich, warum sich das gemeinsame Erstellen von Memes zum Thema Antirassismus auch so gut für die Bildungsarbeit eignet: „Das ist einfach umzusetzen, macht Spaß, gibt Raum für Kreativität und am Ende hat man sogar ein Ergebnis, das man anderen zeigen und weiterleiten kann“, erklärt Frederieke Huwald, während die Teilnehmenden ihre Memes munter im Chat der Konferenz hin und her schicken.

Neben der Memes nehmen die Teilnehmenden eine Menge neuer Impulse, Kontakte und Materialien aus der Konferenz mit. Auf einem Whiteboard, auf dem alle Teilnehmenden Feedback geben können, werden viele motivierte und dankbare Rückmeldungen gegeben. Erkan Gürsoy von der Universität Duisburg-Essen stellt heraus, wie wertvoll der Dialog zwischen Menschen aus Deutschland und der Türkei für ihn war: “Im transnationalen Austausch lerne ich vor allem konkrete Umsetzungsperspektiven von pädagogischen Konzepten in der Praxisarbeit für meine Arbeit mit Studierenden kennen. Der Austausch in diesem transnationalen Raum sollte meines Erachtens mit Blick auf eine Überwindung von Staatsgrenzen und Differenzlinien erfolgen. Den Veranstalter*innen gelingt dies besonders gut.“  

Zum Schluss betonen auch die Organisatorinnen noch einmal den Mehrwert, den es hat, selbst solche transnationalen Austauschprogramme umzusetzen, mit Partner*innen aus anderen Ländern zusammenzuarbeiten und animieren zur weiteren Vernetzung und Kooperation zwischen Deutschland und der Türkei: „Man lernt so viel, und nimmt sowohl auf persönlicher als auch auf fachlicher Ebene einiges mit“, sagt Birte Gooßes. Wie passend scheint es also, dass der virtuelle Konferenzraum auch im Anschluss noch ein wenig offen bleibt, so dass Platz für Austausch, Zukunftsplanung und Reflexion über das Gesehene und Gehörte bleibt.