Pilze sammeln und Bäume pflanzen – Youth For Forest in Brandenburg

Auf einer Wiese nahe eines Waldstücks mitten im Brandenburg haben vier junge Frauen auf einer Wiese in der Spätsommersonne Decken ausgebreitet und es sich gemütlich gemacht. Sie warten auf die anderen Teilnehmenden des Projekts Youth For Forest, welche die acht Kilometer lange Strecke von Storkow nach Bugk gewandert sind. Melike, Kayla, Doğa und Yaran sind nach den aktiven letzten Projekttagen in Berlin – an denen es unter anderem zum Naturkundemuseum, zum Technikmuseum und zum Tempelhofer Feld ging – erschöpft und freuen sich über eine Pause am Waldrand. Dank Sonnenschein und leckerem Picknick ist die Stimmung ausgelassen und die Motivation für die anstehende Aktivität groß.

Martin Schlecht aus dem Youth For Forest-Projektteam hält an diesem Tag allein die Stellung. Er streift mit einem geflochtenen Korb durch das herbstliche Laub und sammelt Pilze, bevor er sich zur Gruppe gesellt und eine Einführung in das Tagesprogramm gibt. Der Wald soll verjüngt werden, das heißt, es müssen neue Bäume gepflanzt werden, um für mehr Diversität zu sorgen. Die lila-grünen Traubeneichen liegen gebündelt am Waldrand bereit, genau wie Spaten und Mistgabeln. Martin Schlechts Golden Retriever Mango flitzt als Erster durch die Öffnung im Zaun in den Wald hinein.

Selbst aktiv werden und mit anpacken

Furhat, ein Teilnehmer aus Berlin, freut sich, heute die Arbeitslehre-Werkstatt an der Technischen Universität gegen den Wald einzutauschen. An der Uni haben sie vor Kurzem erst gelernt, einen Hocker zu tischlern und jetzt stehen sie quasi vor dem Ursprungsmaterial: „Das Projekt erweitert meinen Horizont”, sagt er, „wenn ich jetzt einen Stuhl sehe, weiß ich, wie viel Arbeit darin steckt und wie viel Material.” Sein Kommilitone Sinan aus Kreuzberg, der Arbeitslehre und Geschichte auf Lehramt studiert, klettert auf einen umgefallenen Baumstamm: „Es ist echt cool, dass wir die Bäume selbst einpflanzen und wissen, dass sie in 30, 40, 50 Jahren halbwegs so groß sind, wie richtige Bäume und dann sind wir noch am Leben. Vielleicht kommen wir dann noch mal vorbei und sehen, wie sie gewachsen sind, als wären sie unsere Kinder.”

Selbst mit anpacken und aktiv werden – das ist das pädagogische Kernelement in den Augen Martin Schlechts, der Studierende an der TU in die Arbeitslehre einweist und für das Projekt akquiriert hat. Zusammen mit anderen Umweltenthusiast*innen und Künstler*innen ist er im Verein für sozial-ökologischen Wandel aktiv, welcher sich seit 2019 um ein Stück Wald in Bugk kümmert. Er ist mehr als positiv überrascht, dass die Teilnehmenden, besonders seine Schützlinge aus der TU, so begeistert mitmachen und ihn nach weiteren Exkursionen in die Natur fragen. „Nächstes Mal gehen wir campen“, sagt er und lacht. „Das schweißt die Gruppe richtig zusammen und die Erfahrung bleibt auf jeden Fall hängen.“ Bei einer Online-Veranstaltung für interkulturellen Austausch, die wie dieses Projekt von der Jugendbrücke gefördert wurde, traf er auf Onur Oğuz Dellal. Der Berliner ist in der türkischen Partnerorganisation „Milas Euromos Gençlik ve Spor Kulübü Derneği“ aktiv. Dort wird auch der zweite Teil des Projektes stattfinden, in dem sich die Teilnehmenden besonders mit den Konsequenzen der verheerenden Waldbrände auseinandersetzen werden, die im Juli und August 2021 wüteten und mehr als 1700 Quadratkilometer Waldfläche in der Türkei zerstörten.

„Ich wusste nicht, dass es Leute gibt, die den Wald reparieren.“

Auch Brandenburg litt im Jahr 2022 unter heftigen Waldbränden. Allein im August verzeichneten Waldbrandschutzbeauftragte bereits doppelt so viele als im Vorjahr. Ausbleibender Niederschlag und achtlos weggeworfene Zigaretten gehören zu den Gründen, genauso die fehlende Diversität. Um den Wald stärker und resistenter zu machen, sorgen Martin Schlecht und die 26 teilnehmenden Jugendlichen des Projekts für Varietät und setzen neben die jüngst erst gepflanzten Esskastanien 150 kleine Traubeneichen.

 „Natürlich ist das heute ein symbolisches Zeichen, aber mir ist wichtig, dass die Jugendlichen sehen, dass sie etwas verändern können“, erklärt Schlecht. Und diese Überzeugung kommt anscheinend bei den Teilnehmenden an. „Ich wusste nicht, dass es Leute gibt, die den Wald reparieren. Das ist so inspirierend“, schwärmt Melike, die in Istanbul Koreanische Sprache und Literatur studiert: „In der Türkei haben Menschen so viele andere Probleme, dass sie sich darum nicht kümmern. Sie wissen nichts darüber, sie reden nicht darüber, sie können nichts darüber lernen. Und wir kommen jetzt zurück und haben ihnen so viel zu erzählen.“

Kayra, eine 20-jährige Chemiestudentin, stimmt zu: „Die Leute in der Türkei versuchen, einfach zu überleben. Sie verdienen genug Geld, um zu essen. Die meisten haben keine Zeit für Hobbys oder Weiterbildung. Naturschutz ist für Menschen dort zweitrangig, aber natürlich sollte es so nicht sein.“ Martin Schlecht und sein Lebensstil sind für viele der Teilnehmenden aus Istanbul etwas komplett anderes als das, was sie aus dem Freundes- und Familienkreis kennen. Sie diskutieren daher, ob Naturschutz ein Privileg ist, welches nur Menschen zusteht, die aufgrund einer stabilen und sicheren ökonomischen und politischen Lage mehr Möglichkeiten für Aktivismus und Nachhaltigkeit haben.

Inspiriert und voller Ideen für eine grünere Zukunft geht es zurück in die Türkei

„In Berlin gibt es viel Umweltaktivismus, es wird ständig versucht, etwas zu verändern. Das ist etwas, was wir bei uns zu Hause nicht sehen“, meint Melike. „Bei uns gibt es zwar auch Proteste oder Unterschriften-Kampagnen, aber meistens verändern sie nichts – das demotiviert. Weil es keinen großen Effekt gibt, haben wir die Hoffnung verloren und aufgehört, uns damit zu befassen. Aber zu sehen, dass ein Projekt erfolgreich ist, bedeutet, dass es tatsächlich möglich ist, etwas zu verändern. Auch wenn es nur der Garten vor deinem Haus ist, kann man etwas ändern.“ Die anderen in der Runde nicken zustimmend. In den letzten Tagen haben sie sich darüber viele Gedanken gemacht, auch über die Frage, wie Natur- und Umweltschutz im Kleinen realisiert werden kann. „Wir brauchen mehr Bäume in den Städten, um die CO2-Konzentration in der Luft auszugleichen!“, sagt Doğa, deren Name auf Deutsch „Natur“ bedeutet. Sie will ihre Familie dazu ermutigen, ab jetzt mehr öffentliche Transportmittel zu nutzen.

Kayra krault Martins Hündin Mango hinter den Ohren und sagt abschließend: „Naturschutz ist die Verantwortung aller Menschen, das sollten sich alle bewusst machen. Deshalb ist es auch wichtig zu lernen, was man als Person überhaupt alles für die Natur tun kann.“ Sie hat in dieser Woche zum ersten Mal in ihrem Leben Pilze gesammelt und gelernt, wie sich daraus ein Risotto zubereiten lässt. Auch Nachhaltigkeit beim Einkauf und der Produktauswahl waren Themen, mit denen sich die Teilnehmenden beschäftigt haben. An diesem Abend gibt Lahmacun, türkische Pizza. Die Mutter einer deutschen Teilnehmerin hat alle herzlich dazu eingeladen.

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