Zwischen Küche und Schulgarten – Einblicke in den berufsorientierten Schulalltag

Es ist Mitte Oktober, 11:50 Uhr in der August-Sander-Schule, einer inklusiven Berufsschule in Berlin. Eigentlich sollte es schon kälter sein. Die Temperaturen unterscheiden sich nur unwesentlich von denen Istanbuls Stadtteil Kadıköy. Die Austauschschüler*innen der dortigen Partnerschule Şöhret Kurşunoğlu Özel Eğitim Meslek Okulu sind dafür ganz dankbar, sagen sie später. Es war die Partnerschaft der Bezirke Berlin Friedrichshain-Kreuzberg und Istanbul Kadıköy, welche diesen Schüler*innenaustausch initiierte und mit einer Förderung der Jugendbrücke umsetzen konnte. Auch dem tatkräftigen Engagement der Lehrer*innen sei Dank, dass solch bereichernde Projekte stattfinden können.

Insgesamt sind fünf Schüler*innen, drei Lehrkräfte und ein Schulbegleiter aus der Türkei für fünf Tage in Berlin. Aus Deutschland nehmen sieben Jugendliche an diesem Projekt teil, nur zwei von ihnen sprechen mehr als eine Sprache. Das Projekt richtet sich ausschließlich an Jugendliche mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Ziel des Projektes ist es, die Vorbereitung und Begleitung in das Berufsleben beider Länder kennenzulernen. Alle fünf Teilnehmenden der sonderpädagogischen Berufsschule Istanbuls haben die Türkei noch nie verlassen und waren noch nie von ihren Familien getrennt. Unter Heimweh scheinen sie allerdings nicht zu leiden. Sie wirken, als genießen sie die Zeit. Die Lehrer*innen der Schulebestätigen diesen Eindruck und die Eltern wiederrum vertrauen ihnen.

Ein normaler Schultag in Berlin

Die Schüler*innen der sonderpädagogischen Berufsschule Istanbuls sollen am vierten Projekttag eine ganz normale Unterrichtsstunde im Fach Hauswirtschaft erleben. Gekocht wird Spaghetti Bolognese. Die Jugendlichen finden sich in fünf Kochteams zusammen. Über die Kochzeilen hinweg werden die Schüler*innen schnell eifrig. Sie schälen Möhren, schneiden Zwiebeln, pressen Knoblauch und das ganz ohne Anleitung in Teamarbeit. Es riecht gut.

Sprachbarrieren werden schnell mit Handzeichen oder Übersetzungshilfen überwunden. Für den Notfall ist auch ein Übersetzer anwesend, der bei Missverständnissen aushilft. Was hat die Jugendlichen dazu bewegt, an diesem Projekt teilzunehmen? Angelina überlegt: „Ich interessiere mich für die Türkei. Ich war einmal dort und fand es sehr schön!“ Ähnlich klingt es auch bei den anderen Jugendlichen. Das jeweils andere Land macht sie neugierig. Sie fragen sich, wie dort gelebt wird, wie die Schulen sind. Es reizt sie, ein anderes Land zu sehen.

Ganz neue Erfahrungen

Beide Partnerschulen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie praktisch arbeiten. Die Fachbereiche sind unterteilt in Hauswirtschaft sowie Technik mit den Schwerpunkten Metall, Holz und Farbe. Die August-Sander-Schule arbeitet inklusiv, während die Şöhret-Kurşunoğlu-Schule in Kadıköy ausschließlich von Schüler*innen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung besucht wird. Schüler*innen und Lehrende aus Istanbul sind begeistert von Berlin und den Räumlichkeiten. Für alle von ihnen ist ein Schüler*innenaustausch eine ganz neue Erfahrung, da sich solche häufig vor allem an Regelschüler*innen richten.

Nachdem alle gut gegessen haben, geht es in den Schulgarten. Dort gibt es ein begeistertes Wiedersehen. Die Schüler*innen aus Kadıköy haben in ihren fünf Tagen Berlin nicht nur die Teilnehmenden der deutschen Partnerschule kennengelernt, sondern noch viele freiwillige Helfer*innen und andere interessierte Schüler*innen. Der Ausflug in den Zoo zum Beispiel wurde von Schüler*innen begleitet, die in der Küche nicht dabei waren, nun aber die Jugendlichen aus Istanbul sehnsüchtig im Schulgarten erwarten.

Ein Schulgarten und ein Krokodil

In der Luft knistert die jugendliche Ausgelassenheit, unbedarft wird zusammen gelacht und der Garten erkundet, der tatsächlich einiges zu bieten hat und den Schüler*innen sehr wichtig ist. Der Anbau von Lebensmittel und die direkte Verbindung zur Schulküche ist hier besonders. Der Höhepunkt des Gartenrundgangs aber ist das schuleigene Krokodil, welches sehr eindrücklich von einem Schüler vorgestellt wird. Ernst warnt er: „Steckt bloß nicht eure Finger da rein, sonst sind sie ab!“ Es wird gelacht, wenn auch ehrfürchtig. Kaan flüstert aufgeregt, dass ihm die Schule wirklich gut gefällt.

Kurzlebigkeit erzeugt manchmal auch Schwerelosigkeit: Die Schüler*innen – so scheint es – spüren das in diesen Tagen auch. Eine Euphorie trägt sie. In diese Stimmung hinein fällt die Frage an die sie, was ihnen am besten gefallen hat. Leyla antwortet direkt: „Kochen“, die andere strahlen: „Einfach alles!“

Doğukan lächelt bloß selig und hakt sich bei einer Mitschülerin ein. Als die heimischen Wildblumen in der Dunkelheit verschwinden, wird ein kleines Feuer entfacht und Stockbrot in die Flammen gehalten. Alle Anwesenden genießen den Klang der fröhlichen, aufgeregten Stimmen, bis dann Abschied genommen werden muss. Freitagnachmittag fliegen die türkischen Austauschschüler*innen mit ihren Lehrer*innen zurück nach Istanbul.

Mit Unterstützung der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke gGmbH, kofinanziert von der Europäischen Union. Die Verantwortung für den Inhalt trägt allein die Verfasserin/der Verfasser; die Europäische Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin enthaltenen Angaben.