Mehr Mitsprache vor Ort – mit gemeinsamen Ideen

Was braucht es, um als junger Mensch das Leben in der Stadt mitgestalten zu können? Jugendliche aus Osnabrück und Çanakkale entwickeln in Workshops neue Initiativen

Die einen im kühlen Norden Deutschlands, die anderen an der Küste des Marmara-Meers: 2500 Kilometer etwa liegen zwischen den Jugendlichen aus Osnabrück und aus Çanakkale, die sich für ein besonderes Projekt zusammengefunden haben. 2500 Kilometer, unterschiedliche Kulturen und Sprachen, ein Alltag, der sich in vielem unterscheidet. „Aber gerade deshalb macht es Spaß, sich auszutauschen und voneinander zu lernen“, sagt die 23-jährige Studentin Cemre vom türkischen Wohnzimmer aus im Video-Interview. Wie zehn weitere Jugendliche und junge Erwachsene aus Çanakkale und Osnabrück nimmt sie an „Jugend gestaltet Städtepartnerschaft“ teil.

Seit Jahrzehnten intensiv im Dialog

Das Ziel: Gemeinsam herauszufinden, wie sie besser an kommunalen Entscheidungen beteiligt werden können – und möglichst konkrete Ideen dazu auf den Weg zu bringen. Um einen kurzen Draht zu den Verantwortlichen vor Ort zu gewährleisten, sind aus allen Städten auch kommunale Vertreter*innen mit an Bord. So wie Neşe Yıldız Kendibaşına in Osnabrück und ihre Kollegin Çağla Avcı in Çanakkale, die sich als Städtebotschafterinnen ein Jahr lang intensiv um die Verbindung der beiden Kommunen gekümmert haben. „Die beiden Städte pflegen ja schon seit Jahrzehnten einen intensiven Dialog“, erzählt Neşe. „Es gibt Bürgerreisen, Schulaustausch-Programme, Begegnungsabende und vieles mehr – und ein Projekt, bei dem Jugendliche gemeinsame Ideen entwickeln und Kontakte knüpfen, passt natürlich hervorragend dazu“.

Jugendparlament als Export-Modell?

Deutsch-türkische Cafés einrichten? Vielleicht gemeinsam Umweltprojekte starten, sich für mehr Türkisch-Unterricht an Osnabrücker Schulen einsetzen? Schon beim Online-Auftaktworkshop im Sommer haben die Jugendlichen aus beiden Städten eine Vielzahl von Ideen entwickelt. „Wir sind dann schnell darauf gekommen, dass eine eigene Jugend-Vertretung der beste Rahmen ist, um solche Initiativen anzugehen“, erklärt die 17-jährige Gymnasiastin Tuana aus Osnabrück. Dort gibt es bereits seit einigen Jahren ein Jugendparlament, das sich in Gremien der Stadt für die Interessen der jungen Bewohner*innen einsetzt und etwa im Jugend-, Sport- oder Umweltausschuss eigene Vorschläge einreicht. „Wir haben dort schon viel angestoßen,“ berichtet der 18-jährige Konstantin, der sich wie Tuana im Präsidium des Jugendparlaments engagiert. „Dank uns gibt es jetzt zum Beispiel Projekte an Schulen, die für das Problem der sexuellen Belästigung sensibilisieren, wir kämpfen für bessere Fahrradwege und sorgen dafür, dass der Stadtrat sich mit der Sicht von uns Jungen auseinandersetzen muss.“

Kontakte knüpfen zu den Entscheider*innen

Auch in Çanakkale ein Jugendparlament auf die Beine zu stellen – das ist es, was die Jugendlichen im Rahmen von „Jugend gestaltet Städtepartnerschaft“ erreichen wollen. „Man braucht einen guten Kontakt zu den Entscheider*innen der Stadt“, meint Cemre, die jetzt schon in Sozialprojekten und im Umweltschutz engagiert ist. „Von den Erfahrungen der Osnabrücker dazu, wie man zum Beispiel Netzwerke schmiedet oder finanzielle Unterstützung für seine Anliegen bekommt, können wir also nur profitieren.“ Unter anderem helfen die Osnabrücker Jugendparlamentarier*innen jetzt dabei, eine entsprechende Satzung für das türkische Pendant zu erarbeiten. Demnächst wollen sie ihre Çanakkaler Kolleg*innen außerdem zumindest virtuell an einer ihrer Sitzungen teilhaben lassen. Wie lässt sich Social Media nutzen, um Jugendliche für ein Jugendparlament zu begeistern? Welche Institutionen vor Ort sind potenzielle Partner*innen, wie könnte man Schulen und Universitäten für das Parlament begeistern? Auch mit diesen Fragen beschäftigen die Teilnehmenden sich in ihren virtuellen Workshops – und arbeiten im Anschluss daran im jeweiligen Städteteam an der konkreten Umsetzung.  

Ein spannender Einblick in den jeweiligen Alltag

Was sie jetzt schon, noch vor Ende des Projekts, aus dem Austausch mitnehmen? „Gerade für mich, die selbst türkische Wurzeln hat, ist es unglaublich spannend, einen Einblick ins Leben Jugendlicher in Çanakkale zu bekommen“, meint Tuana. „Es gibt so viele Unterschiede, in der Sprache, im Schulsystem – und doch so viele Gemeinsamkeiten“. Wie Konstantin ist auch sie stolz darauf, dass die erfolgreiche Arbeit des Osnabrücker Jugendparlaments Cemre und ihre Mitstreiter*innen inspiriert hat. Einige Wochen bleiben jetzt noch, um das Konzept in gemeinsamen Online-Sitzungen zu verfeinern. Ende Oktober haben alle Jugendteams dann die Gelegenheit, ihre ausgearbeiteten Pläne bei einer digitalen Abschlussfeier kommunalpolitischen Entscheider*innen und dem Auswärtigen Amt vorzustellen.

Inspiration für weitere Partnerstädte

„Ich glaube aber, wir werden nie das Gefühl haben, dass alles erledigt ist“, so Cemre. „So ein Austausch hört am besten überhaupt nie auf.“ Sich möglichst bald einmal in der richtigen Welt zu treffen, die 2500 Kilometer auch physisch zu überbrücken, das wünschen sich Cemre, Konstatin und Tuana gleichermaßen. Tuana geht sogar noch weiter: „Super wäre natürlich, wenn wir mit dem Austausch über `Jugend gestaltet Städtepartnerschaft´ noch mehr Kommunen und Jugendliche inspirieren. Warum sollte es so etwas nicht auch zwischen Städten in ganz anderen Ländern geben?“

Das Projekt ist Teil der Projektreihe „New Pathways for German-Turkish Youth Exchange“ der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke.
Die Projektreihe wurde aus Mitteln des Auswärtigen Amtes finanziert.