Gründung eines Parlaments – Jugendaustausch der politischen Art
Wenn etwas kopiert wird, dann scheint es gut zu sein. Dies könnte auch auf das Jugendparlament der Stadt Monheim am Rhein zutreffen. Immerhin begeisterten sich Jugendliche aus der Istanbuler Stadtgemeinde Ataşehir so sehr für das Projekt, dass sie nun ein Äquivalent am Bosporus geschaffen haben. Wie es dazu kam und wie hilfreich hierfür der Austausch zwischen Jugendlichen zweier Länder sein kann, zeigt ein Besuch am Tag der offiziellen Gründung des Jugendparlaments in Ataşehir.
Die Vorgeschichte – Erste Pläne am digitalen Tisch
Doch ein kurzer Blick zurück zu den Anfängen. Gerade die Jugendlichen beider Städte sind es, die mit gegenseitigen Besuchen schon länger partnerschaftliche Wege gehen, als es ihre Städte mit der erst 2015 besiegelten Partnerschaft auch offiziell tun. Kein Wunder also, dass bei gemeinsamen Projekten, wie beispielweise Besuchen von Tanzgruppen, der „Kunstschule Monheim“ in Ataşehir und dem Ataşehir-Park in Monheim allen voran Jugendliche das Zepter in die Hand nehmen. Diese Verbindung half auch 2021, als sich junge Menschen beider Städte im Rahmen des von der „Jugend gestaltet Städtepartnerschaft“ wieder an einen Tisch setzten – damals via Videokonferenz, denn die Pandemie war noch in vollem Gange.
Die Jugendlichen aus Ataşehir spielten da schon mit dem Gedanken, ein Jugendparlament zu gründen, um sich und ihre Interessen besser in die politischen Prozesse der Stadt einbringen zu können. „Ich bin beim Ataşehir-Jugendparlament dabei“, erklärt beispielsweise die 18-jährige Studentin Sinem, „weil wir jungen Leute mehr zur Umgebung in dieser Stadt beitragen müssen. Gleichzeitig müssen die Gedanken von uns Jüngeren stärker im Parlament vertreten sein.“ Die Erfahrungen aus Monheim, dessen Jugendparlament bereits seit zwanzig Jahren existiert, kamen da gerade Recht. Einen ersten Austausch gab es letztes Jahr noch digital und im März dieses Jahres sollten sich die Verantwortlichen und Teilnehmenden auch in Monheim bei einem ersten persönlichen Treffen kennenlernen.
Der Rhythmus – Von Viertelnoten zum Samba und darüber hinaus
Dann ist er da, der Gründungstag im Oktober 2022. Bevor jedoch der offizielle Teil mit der 14-köpfigen Delegation aus Deutschland und 10 Vertreter*innen aus der Türkei beginnt, lockern zwei Workshops die Stimmung auf und ermöglichen ein weiteres Kennenlernen. Mit Percussions werden die Jugendlichen innerhalb kürzester Zeit von Viertelnoten zum Samba und darüber hinaus geführt. Beim anschließenden Theaterworkshop wird „Stille Post“ mit Posen gespielt. Erstaunlich, wie kompliziert das Nachahmen von Körperhaltung sein kann. Ganz ohne es zu merken, vermitteln beide Workshops grundlegende Eigenschaften, über die Parlamentarier*innen verfügen sollten: die Beobachtungsgabe für Probleme unter den Jugendlichen der eigenen Stadt und ein gewisses Rhythmusgefühl, wann und wie welches Problem anzugehen ist.
Die 17-jährige Ceyda lebt für das Engagement zwischen Deutschland und der Türkei. Die Monheimerin gehört zwar nicht zum Jugendparlament, doch tritt sie gekonnt als Vermittlerin zwischen beiden Städten auf. Das vor allem auch dadurch, dass sie spontan als Dolmetscherin einspringt, um zwischen den Gästen aus Deutschland und den Workshop-Leitern aus der Türkei zu vermitteln. Wer beide Sprachen versteht, muss schmunzeln, als sich der Musiklehrer zwischenzeitlich über Ceydas wesentlich kürzere Übersetzungen wundert. Doch Ceyda macht ihren ungeplanten Job hervorragend. Alle Teilnehmenden verstehen, was von ihnen gefordert wird.
Der Support – vom Rhein an den Bosporus
Wie Ceyda ist auch Eva Heggemann Vermittlerin zweier Welten – zwischen Stadtrat und der Jugend. Heggemann ist Mitarbeiterin bei der Stadt Monheim, zuständig für die Kinder- und Jugendförderung. In dieser Funktion begleitet sie das Monheimer Jugendparlament organisatorisch und vermittelt zwischen diesem und der Stadtverwaltung. Sie erinnert an das Projekt „Jugend gestaltet Städtepartnerschaft“. Dort wurden zwischen Jugendlichen aus türkischen und deutschen Partnerstädten Ideen zur gemeinsamen Zusammenarbeit entwickelt.
„Bei den Jugendlichen war dann der Wunsch da, dass man die Gründung eines Jugendparlaments in Ataşehir voranbringt“, erklärt Heggemann und schildert, was nach dem anfänglichen Projekt der Jugendbrücke geschehen ist. „Wir sind dann recht schnell ins Gespräch gekommen. Die Jugendlichen von hier und auch die Verantwortlichen der Stadt Ataşehir sind nach Monheim gekommen und wir haben die Arbeit vorgestellt, zum Beispiel die Satzung und das Konzept unseres Jugendparlaments.“ Bei diesem Besuch im März 2022 wurde auch eine Jugendparlamentssitzung in Monheim simuliert, damit die Besucher*innen aus der Türkei sich ein eigenes Bild vom Ablauf machen konnten.
Die Gründungsfeier – plötzlich Kuchen im Mund
Eine erste Sitzung des Jugendparlaments von Ataşehir gibt es an diesem Tag zwar noch nicht, dafür finden sich nach dem Mittagessen alle gemeinsam im Sitzungssaal des Stadtparlaments ein. Auf dem Podium sitzen unter anderem die Jugendamtsleiterin der Stadt Monheim, Simone Feldmann, sowie aus Ataşehir der stellvertretende Bürgermeister İlhami Yılmaz und Stadtparlamentspräsident Kudret Arslan. In ihrer Mitte Elif Ayik und Philipp Kaindl. Er: Vorsitzender des Jugendparlaments in Monheim, sie: sein kommissarisches Pendant in Ataşehir.
Grußworte werden vorgetragen und die 25-jährige Elif führt durch den offiziellen Teil: Sie dankt für das Kommen der Delegation aus Monheim, zitiert den türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk mit den Worten „Die Hoffnung liegt in der Jugend“ und stellt die bisherige Arbeit bis zum heutigen Tag vor. Und plötzlich ist das Parlament gegründet. Fotos werden geschossen und Hände geschüttelt. Wie bei fast allen Feierlichkeiten in der Türkei – und eine solche ist die Gründung des Jugendparlaments Ataşehir – wird gemeinsam ein Kuchen angeschnitten, dessen erstes Stück İlhami Yılmaz dem überraschten Philipp in den Mund schiebt.
„Jetzt haben wir ein vorrangiges Ziel“, erklärt Elif die nächsten Schritte nach dem heutigen Tag. „Zwar gibt es viele Projekte, die wir angehen wollen, doch zuerst müssen wir unsere Struktur regeln, denn wir haben noch keine*n ordentliche*n Vorsitzende*n.“ Damit spielt Elif darauf an, dass sie selbst nicht demokratisch legitimiert, sondern lediglich kommissarisch im Amt ist. Zudem ist es eine Herausforderung, wie die Wahlen in einem Stadtbezirk mit Hunderttausenden von Jugendlichen durchgeführt werden sollen, wenn man keinen Zugang zu den Schulen hat. (In der Türkei sind die Schulen nicht den Kommunen, sondern dem Ministerium für Nationale Bildung unterstellt.) In einem zweiten Schritt, so Elif, sollen dann die Probleme und Wünsche der Jugendlichen analysiert und politisch diskutiert werden.